Versprich es mir by Joe Biden

Versprich es mir by Joe Biden

Autor:Joe Biden
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Biographien, Autobiographien
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2020-11-09T00:00:00+00:00


KAPITEL SIEBEN

KALKULIERTE RISIKEN

In der neuen Schlacht um Tikrit benötige er dringend militärische Hilfe, teilte mir Premierminister Abadi an jenem Tag, dem 5. März 2015, am Telefon mit – und zwar möglichst bald. Abadi lief Gefahr, einen entscheidenden Kampf gegen eine im Nahen Osten agierende und rasch wachsende neue Terrororganisation zu verlieren, den sogenannten Islamischen Staat im Irak und der Levante, kurz: ISIL oder IS. Er bat um viel, mit Konsequenzen sowohl für den Irak als auch für die Vereinigten Staaten. Abgesehen von den möglichen globalen Folgen, war mir das Problem aber auch persönlich wichtig. Nach zwölf Jahren stand die Mehrheit der Amerikaner sicherlich nicht mehr hinter unserem kostenintensiven Engagement im Irak, und viele blendeten es – im übertragenen Sinne – wie ein störendes Hintergrundgeräusch aus. Ich konnte das nicht. Da ich seit 2003 daran mitarbeitete, im Irak eine funktionierende, offene Regierung aufzubauen, aus der sich eine echte Demokratie entwickeln könnte, lag mir die Angelegenheit am Herzen. Ich war mehr als 20 Mal in den Irak gereist, erst als hochrangiges Mitglied und Vorsitzender des Senate Foreign Relations Committee, später dann als Vizepräsident, nachdem Barack 2009 bei einem Treffen führender Amtsträger im Oval Office verkündet hatte: «Joe wird sich um den Irak kümmern.»

Der Irak war das mit Abstand frustrierendste Kapitel meiner 40-jährigen Karriere in der Außenpolitik. Die Beziehungen zwischen den drei Hauptfraktionen im Irak – schiitische Araber, sunnitische Araber und Kurden – waren geprägt von Zorn und Paranoia, und bisweilen kam es zu Ausbrüchen von Gewalt. Die drei Gruppierungen hegten einen Groll gegeneinander, der sowohl tief in der Geschichte verwurzelt als auch moderneren Ursprungs war. Die heutigen Landesgrenzen waren nach dem Ersten Weltkrieg auf dem ehemaligen Gebiet des Osmanischen Reichs gezogen worden. Saddam Husseins Baath-Regime bevorzugte später die sunnitische Minderheit. Die schiitisch-arabische Bevölkerungsmehrheit, die vor allem im Zentral- und Südirak ansässig war, sowie die kurdische Minderheit im Norden wurden brutal unterdrückt. Der amerikanische Einmarsch im Jahre 2003 setzte dieser Gewaltherrschaft ein Ende. Die Sunniten wurden entmachtet, die Schiiten mit neuen Rechten ausgestattet. Auch die kurdischen Unabhängigkeitsträume lebten wieder auf. Zwölf Jahre lang hatte ich versucht, der politischen Führung im Irak die Augen für die Vorzüge einer Regierungsform zu öffnen, die nicht allein auf roher Gewalt und konfessioneller Dominanz beruhte – ein zeitintensives, ermüdendes und beinahe unmögliches Unterfangen. Ich war jedoch noch nicht bereit aufzugeben. Beau hatte während seiner einjährigen Dienstzeit im Irak Kopf und Kragen riskiert. Er hatte dort Tod und Zerstörung gesehen, obwohl er nicht viel darüber sprach. Doch beharrte er stets darauf, dass die Vereinigten Staaten ein nobles Ziel verfolgten. Wenn die Bemühungen im Irak langfristig eine realistische Aussicht auf Erfolg hätten, sollten wir es versuchen, fand Beau. Wir hatten bereits zu viele gute Leute geopfert, um jetzt aufzugeben. Am Tag von Abadis Anruf glaubte ich, dass sich endlich eine Chance bot. Die Ironie der Geschichte war, dass gerade die Organisation, die das Land zu entzweien versuchte, der IS, die Iraker zusammenbrachte – wenigstens vorübergehend.

Die Macht des IS im Irak hatte im Sommer 2014 nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern



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